Frauenwahlrecht
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Gestrich A. (2013): Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert, München
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Gestrich A. (2013): Geschichte der Familie im 19. und 20. Jahrhundert, München
Hentschke F. (2001): Demokratisierung als Ziel der amerikanischen Besatzungspolitik in Deutschland und Japan 1943 - 1947, Münster
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Grundwissen Frauenrechte - Wandel der Familie |  |
Aspekte einer Demokratisierung im Kontext Politischer Bildung |  |
Günther Dichatschek
 | Inhaltsverzeichnis dieser Seite | |
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Vorbemerkung |  |
Die Studie findet ihren Impuls im Bemühen über Jahrzehnte für eine "Lebendige Familie" (1985 Landespreis Tirol), Politische Bildung (Universitätslehrgang 2008), Erwachsenenbildung (Weiterbildungsakademie 2009) und Hochschuldidaktik (Interner Lehrgang 2016) und dem gesellschaftspolitischen Diskurs am Weltfrauentag (8. März 2025).
Die Wechselbeziehung zwischen Theorie, Praxis und Umsetzung behandelt das Buchprojekt, sich mit den Schwerpunkten Frauengeschichte, Frauenrechte, Wahlrechtsentwicklung, Frauenförderung und Wandel der Familie auseinander zu setzen.
1 Einleitung |  |
Zu Beginn der europäischen Demokratiegeschichte stand die Frage nach dem Frauenwahlrecht. Frauen bildeten wenige Gruppen, die intensiv und lange um ihr Wahlrecht kämpfen mussten. Von 1906 bis 1932 führten rund 40 Nationalstaaten das Frauenwahlrecht ein.
Der Schwerpunkt des Beitrages liegt auf Österreich.
Es bedarf in der Historischen Politischen Bildung einer Erklärung, warum Frauen so lange aus dem Gleichheitsverständnis ausgeschlossen werden konnten und warum sie erst nach dem Ersten Weltkrieg in vielen europäischen Staaten als politische Subjekte wahrgenommen wurden (vgl. MÜLLER 2014).
1.1 These |  |
Die These lautet: Frauengeschichte - Frauenrecht ist im Kern Demokratie- und Sozialgeschichte. Die Einführung des Frauenwahlrechts kann/ muss als ein Akt der Demokratisierung begriffen werden und bildet einen Themenbereich in Politischer Bildung.
1.2 Ausgangspunkt |  |
Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen sind
- die Absolvierung des 10. Universitätslehrganges Politische Bildung/ Universität Salzburg - Klagenfurt,
- die Absolvierung der Weiterbildungsakademie Österreich/ Wien, des Fernstudiums Erwachsenenbildung/ Comenius - Institut Münster (Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium) und der Personalentwicklung/ Universität Salzburg (Interner Lehrgang Hochschuldidaktik),
- die Auseinandersetzung mit der Fachliteratur.
2 Demokratiegeschichte als Frauengeschichte |  |
Im Folgenden wird auf die männliche Dominanz in der Demokratiegeschichte und Aspekte einer Historischen Politischen Bildung eingegangen.
2.1 Männergeschichte |  |
Betrachtet man die Geschichte der Demokratie sind Revolutionen auch ein heiliges Erbe, es geht um Macht und Gewalt, wenn Mitbestimmung erkämpft wird. Demokratiegeschichte ist ein Kampf von unten gegen oben, eine Männergeschichte (vgl. Freiheitskämpfer, Barrikaden, Aufruhr und Rebellen).
Es versteht sich von selbst, dass die politische Gleichberechtigung für die Hälfte der Menschheit (Frauenwahlrecht) kaum eine Erwähnung findet (vgl. RICHTER - WOLFF 2019, 8-9).
- Möglicherweise werden die gewalttätigen Suffragetten in Großbritannien - als Minderheit der Frauenrechtlerinnen - noch erwähnt.
- In Österreich wird behauptet, es seien die Ereignisse am Ende des Ersten Weltkrieges es gewesen, die das Wahlrecht erbrachten. Der Krieg sei der Vater des Frauenwahlrechts.
Politische Bildung weitet das Feld der Erkenntnisse aus.
- Ein weiter Begriff von Politik und "citizenship" wird genutzt. Die Einbeziehung der häuslichen Sphäre in die Politik, soziale Aspekte werden hervorgehoben (vgl. etwa die Kommunale Armenfürsorge und weibliche Arbeitslosigkeit - Armut).
- Demokratiegeschichte ist transnational. Aber der Zusammenhang mit Staat, Nation und Gesellschaft ist gegeben.
2.2.1 Weibliche Praxis |  |
Demokratiegeschichte erfährt eine weibliche Praxis, die männliche politisch-öffentliche Einflussnahme wird versucht einzuschränken. Es geht um ein Familien- und Wahlrecht. Spezifische Bereiche wie Mädchen-, Frauenbildung und ein Wohlfahrtsstaat werden eingefordert.
- Zur Bedeutung der Frauenbewegung gehört die internationale Solidarisierung.
- Im Nordatlantischen Raum wird das das Wahlrecht in einem Zusammenhang mit Sozialreformen und spezifischen Frauenrechten gesehen.
Im Kern dreht es sich in der Demokratievorstellung und damit Politischen Bildung um die Vorstellung von Gleichheit, Freiheit und Gerechtigkeit (vgl. MÜLLER 2014, 22-30).
Der Ausschluss vom Wahlrecht blieb den Frauen - trotz ihres Engagements - über Jahrzehnte (vgl. RICHTER - BUCHSTEIN 2017).
- Eine Vorgangsweise der Frauenbewegung in Österreich war das Sammeln von Unterschriften für Petitionen für die Inklusion von Frauen in das Wiener Gemeindewahlrecht und gegen die Abschaffung des Frauenwahlrechts in Niederösterreich auf Gemeindeebene und in der Stadt Salzburg.
- Hinderlich für ein Engagement war auch der Ausschluss von Frauen aus politischen Vereinen nach § 30 des Vereinsgesetzes 1867.
- Das Jahr 1917 bot eine Fülle von Forderungen des Frauenwahlrechts in allen politischen Lagern, der Krieg habe die Wichtigkeit der Mitarbeit der Frauen gezeigt. Im Gemeindewahlrecht ergaben sich etwa Möglichkeiten im Fürsorgewesen und der Lebensmittelversorgung.
2.2.2 Mädchen - und Frauenbildung |  |
Weiterhin blieb die Forderung nach einer zeitgemäßen Mädchen- und Frauenbildung.
Erst 1918 erhielten Frauen in Österreich das aktive und geheime Wahlrecht.
Für die Historische Politische Bildung ist das Ende des Ersten Weltkrieges und der Übergang in eine republikanische Demokratie ein markantes Datum.
3 Politische Rechte für Frauen vor der parlamentarischen Demokratisierung in Österreich |  |
Auffallend für Österreich, dass die Zahl der Wählerinnen in manchen Kronländern ab der Einführung des Landtagswahlrechts 1861 und der Novelle 1862, Repräsentanten für den Gemeindeausschuss zu bestimmen, recht hoch war (vgl. RICHTER - WOLFF 2019, 84).
3.1 Unterschiede in der Monarchie |  |
In den Gemeinden Böhmens machten in den 1880er Jahren Frauen rund 20 Prozent des Wahlvolks aus. Um 1900 waren in der Stadt Salzburg mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten Frauen (vgl. RUMPLER - URBANITSCH 2000, bes. 2214).
In der ungarischen Reichshälfte konnten nur ledige Steuerzahlerinnen über einen Bevollmächtigten in Städten und Dörfern wählen.
In den österreichischen Kronländern waren seit 1861/ 1862 grundsätzlich steuerzahlende Frauen unabhängig vom Familienstand wahlberechtigt, wie Männer auf der Basis von Haus- und Grundbesitz bzw. einem Gewerbe oder Erwerb.
Das Wahlrecht nur für Männer stand etwa in Städten mit eigenem Statut wie in Wien und Prag zu.
Seit 1861 waren Frauen unter den genannten Bedingungen auch für die Landtage stimmberechtigt, als europäische Ausnahme.
- Großgrundbesitzerinnen auch für das Parlament (Reichsrat) bis zur Einführung des allgemeinen und gleichen Männerwahlrechts auf dieser Ebene 1906/ 1907.
- Dies hatte nichts mit Geschlechtergleichberechtigung zu tun, vielmehr mit dem Prinzip des Grundbesitzes und Steuerleistung.
Auf Grund der Gütertrennung besaßen verheiratete Frauen mit Besitz diese lokalen und regionalen Rechte.
- Der Geschlechterdiskurs fand statt auf der Ebene der Gemeinden, in Form der Vertretung durch einen männlichen Bevollmächtigten, bei Ehefrauen durch den Ehemann.
- Bei Landtagswahlen war grundsätzlich die persönliche Stimmabgabe vorgeschrieben.
In der Folge entwickelte sich eine Vielfalt an verschiedensten Vorschriften für ein Frauenwahlrecht. In Niederösterreich 1904 und Vorarlberg 1909 wurde die persönliche Stimmabgabe in den Gemeinden eingeführt.
Das Landtagswahlrecht wurde öfter etwa in Kärnten, Niederösterreich, Oberösterreich und der Steiermark auf die Kurie der Großgrundbesitzer eingeschränkt und stand den weiblichen Wahlberechtigten in den Kurien der Städte und Landgemeinden nicht mehr zu.
3.2 Kuriensystem |  |
Das Kuriensystem in Österreich ergab
- aus dem Großgrundbesitz, der Handels- und Gewerbekammer, den Städten und Landgemeinden einen eigenen Wahlkörper.
- Frauen waren in der Regel auch nicht in der neu eingerichteten Kurie mit dem allgemeinen Männerwahlrecht zugelassen.
- Eine Ausnahme bildetet Vorarlberg 1909.
3.3 Politische Interessen |  |
Das österreichische Beispiel zeigt, dass politische Interessen wesentlich waren, ob es das Frauenwahlrecht gab oder nicht und wie dieses aussah.
- Verknüpft waren die Interessen mit der Mittelschicht und dem Nationalitätenstreit.
- Die Minderheiten nützten politische Rechte für Frauen für die Stärkung ihrer nationalen Bewegungen.
4 Wahlrechtsentwicklung in Österreich 1848 bis 2011 |  |
Abschließend erfolgt ein Überblick über die Gesamtentwicklung des Wahlrechts in Österreich ab 1848 bis 2011.
4.1 Monarchie |  |
1848
In der bürgerlichen Revolution beginnt die Herausbildung der für den bürgerlichen Staat typischen Institutionen und Strukturen, etwa einer Verfassung, eines Parlaments, einer Gemeindeverwaltung und der Freiheitsrechte. Es kommt ohne Massenparteien zu einem "Privilegienparlamentarismus". Schrittweise erfolgt eine Erweiterung der Partizipationsmöglichkeiten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.
Im März 1848 kommt es in Wien zu Protesten gegen das Metternich - System. Die "Pillersdorfsche Verfassung" (Zweikammernsystem) tritt nie im Kraft. Im Juli kommt es zum ersten frei gewählten Reichstag. Mit der Niederschlagung der Revolution kommt es zu einer Restauration der politischen Verhältnisse. Es wird die "Märzverfassung" erlassen (Herrenhaus - Abgeordnetenhaus). Die Mitglieder des Reichsrates werden teilweise von den Landtagen beschickt und von den Großgrundbesitzern gewählt. Die Wahl der Abgeordneten erfolgt direkt und ist an bestimmte Steuerleistungen gebunden. Regiert wird noch absolutistisch.
1949
Prov. Gemeindegesetz mit der Gemeindewahl in einem Kuriensystem mit drei Wahlkörpern.
1851
Es kommt zum "Silvesterpatent", nach diesem der Reichsrat nur eine beratende Funktion besitzt. Es entwickelt sich der Neoabsolutismus bis 1867.
1860
Durch die außenpolitischen Niederlagen kommt es um "Oktoberdiplom" mit vermehrten föderalen Elementen und einer Gesetzgebung wesentlich in den Landtagen. Der Reichsrat hat nur eine beratende Funktion, für neue Steuern benötigt man seine Zustimmung.
1861
Mit dem "Februarpatent" wird er Zentralismus verstärkt. Die Mitglieder des Herrenhaus kommen aus der Hocharistrokratie, des Abgeordnetenhauses aus den Landtagen. Die Landtage werden über ein Kuriensystem gewählt. 1865 wird das Februarpatent bereits aufgehoben, Der Kaiser regiert über einen Notstandsparagraph.
1862
Mit dem Reichsgemeindegesetz wird das Gemeindewahlrecht den Ländern überlassen.
1867
Die Dezemberverfassung ist nicht mehr vom Kaiser, sondern vom Reichsrat verabschiedete Verfassung. Eine liberale Verfassung mit Zweikammernsystem (Herrenhaus und Abgeordnetenhaus) wird geschaffen. Österreich wird eine konstitutionelle Monarchie. Mit dem neuen Vereins- und Versammlungsrecht entstehen in der Folge Massenparteien (Christlichsoziale Partei und Sozialdemokratische Arbeiterpartei), die eine Demokratisierung und ein allgemeines und gleiches Wahlrecht vorantreiben.
1873
Reichstagswahlreform: Die Abgeordneten werden aufgrund des Zensuswahlrechts in den Kurien Großgrundbesitz, Städte, Märkte und Industrieorte sowie Handels- und Gewerbekammern direkt nach dem Mehrheitswahlrecht gewählt. In der Kurie Landgemeinden wird indirekt durch Wahlmänner gewählt.
Wahlberechtigt sind nur sechs Prozent der männlichen Bevölkerung ab 24 Jahren. Die steuerliche Mindestleistung ist örtlich verschieden geregelt und beträgt etwa in Wien 10 Gulden. Frauen sind in der Großgrundbesitzerkurie wahlberechtigt.
1882
Die Steuerleistung zur Wahlteilnahme wird auf fünf Gulden herabgesetzt.
1907
Abschaffung des Kurienwahlrechts und Einführung des allgemeinen Wahlrechts. Das aktive Wahlrecht haben alle männlichen Personen ab 24 Jahren mit österreichischer Staatsbürgerschaft seit drei Jahren und eine einjährige Sesshaftigkeit nachweisen können. Das passive Wahlrecht liegt bei 30 Jahren. Frauen bleiben von der Wahl ausgeschlossen. Die Wahl erfolgt als absolute Mehrheitswahl.
4.2 Republik |  |
1918
Nach der Niederlage der österreichisch - ungarischen Monarchie zerfällt die Habsburgermonarchie. Die Prov. Nationalversammlung proklamiert mittels der Oktoberverfassung die demokratische Republik Deutsch-Österreich? am 12. November 1918. Als Staatsgründer fungieren die politischen Parteien. Beschränkungen der subjektiven Beteiligungsrechte(etwa Sesshaftigungsklausel) werden aufgehoben.
Mit dem Gesetz über die Staats- und Regierungsform vom 12. November 1918 erlangen die Frauen das allgemeine und gleiche Wahlrecht.
Die Parteien bilden in den Ländern die dortige politische Staatsgewalt.
1919
Für die Wahl der konstituierenden Nationalversammlung Deutsch-Österreichs? vom 16. Februar 1919 wird ein eigenes Wahlgesetz geschaffen. Übergang zum Verhältniswahlrecht, das vor allem von der Sozialdemokratischen Partei gefordert wird. In der Märzverfassung wird die parlamentarische Demokratie festgeschrieben. Im Staatsvertrag von Saint Germain wird Österreich die Vereinigung mit Deutschland verboten. Nunmehr heißt es "Österreich" und nicht mehr "Deutsch - Österreich".
1920
Österreich ist bis zur Novelle 1929 durch das Bundesverfassungsgesetz 1920 eine stark parlamentarisch geprägte Demokratie mit einem Zweikammernsystem (National- und Bundesrat). Das Parlament ist das zentrale und führende Staatsorgan. Die Wahl der Abgeordneten zum Nationalrat erfolgt in einer direkten, freien, gleichen und geheimen Wahl. Die Wahl der Abgeordneten des Bundesrates erfolgt durch die Landtage. Als Träger des Parlamentarismus finden die Parteien jedoch keine ihrer Bedeutung entsprechende Nennung bzw. Regelung in der Verfassung, vielmehr wird ihre Existenz in der Verfassung vorausgesetzt. Ein eignes Parteiengesetz folgt erst 1975.
Die Gesetzgebung in den neun Bundesländern wird durch die Landesverfassungsgesetze geregelt. Das österreichische Gemeinderecht wird mit dem Stand 1938 wieder eingeführt (1962: Gemeindeverfassungsnovelle).
1923
Auf der Basis der Bundesverfassung wird eine neue Wahlordnung für den Nationalrat beschlossen (165 Abgeordnete, 25 Wahlkreise).
1929
Eine Verfassungsreform auf Druck der faschistischen Heimwehr stärkt den Bundespräsidenten nach dem Muster des autoritären Trends der Zeit gegenüber dem Parlament. Das parlamentarische Regierungssystem erhält einen präsidialen Einschlag. Der Bundespräsident wird nun vom Volk direkt für 6 Jahre gewählt und erhält erweiterte Kompetenzen. Das aktive Wahlalter wird auf 21 Jahre und das passive Wahlalter auf 29 Jahre hinaufgesetzt.
1933
Ausschaltung des Parlaments durch die Rücktritte der drei Präsidenten des Nationalrates wegen einer Verfahrensfrage. Regiert wird auf der Basis des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes von 1917.
1933/34 - 1938
In dem autoritären Regime sind alle Parteien bis auf die Einheitspartei der Vaterländischen Front verboten (1933 KPÖ und NSDAP, 1934 die SPÖ). 1934 wird die austrofaschistische Verfassung verlautbart. Eine autoritäre und ständische politische Struktur wird verfassungsrechtlich festgeschrieben. Sie besiegelt das Ende der parlamentarischen Demokratie. Sie tritt jedoch nicht in Kraft.
1938 - 1945
NS - Diktatur, keine freien Wahlen.
1945
Österreich wird nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges wieder zur demokratischen Republik. Die Parteien fungieren als Staatgründer. Die Verfassung von 1920 in der Form von 1929 wird eingeführt. Für die Wahl 1945 wird ein eigenes Wahlgesetz geschaffen. Ausgeschlossen sind bei der Wahl die ehemaligen aktiven NS - Mitglieder. Die minderbelasteten NS - Mitglieder erlangen 1949 das Wahlrecht. Die belasteten NS - Mitglieder bleiben bis zum 30. April 1950 vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen.
1949
Reform der Nationalratswahlordnung mit der Möglichkeit von Streichen und Reihen der wahlwerbende Personen. Das aktive Wahlalter wird mit 20 und das passive Wahlalter mit 26 Jahren festgelegt.
1955
Österreich erhält mit dem Staatsvertrag seine volle Selbständigkeit und verpflichtet sich zur Neutralität.
1959
Der amtliche Stimmzettel wird eingeführt.
1968
Herabsetzung des aktiven und passiven Wahlalters bei der Nationalratswahl auf 19 bzw. 25 Jahre.
1970
Bei der Reform der Nationalratswahlordnung erhöht sich die Abgeordnetenzahl von 165 auf 183.
1975
Es kommt zum Parteiengesetz. Damit wird die Bedeutung der politischen Parteien, ihre Aufgaben, die öffentliche Finanzierung und Wahlwerbung gesetzlich betont.
1989
Die Auslandsösterreicher erhalten das Wahlrecht und können in einer österreichischen Vertretungsbehörde mittels Wahlkarte wählen.
1994
Die Bürgermeisterinnen - Direktwahl wird eingeführt.
1999
Der EU - Beitritt 1995 ermöglicht die Wahl österreichischer Abgeordneten zum Europäischen Parlament.
2007
Im Nationalrat wird eine Reform des Wahlrechts auf Bundesebene beschlossen, das aktive Wahlalter wird auf 16 Jahre gesenkt, das passive Wahlalter auf 18 Jahre, die Kandidatur zum Bundespräsident benötigt die Erreichung des 35. Lebensjahres.
2011
Das Habsburger - Kandidaturverbot wird gestrichen. Die Wahlkarten der Briefwähler müssen am Wahltag bis 17 Uhr in der jeweiligen Behörde einlangen.
5 Parlament Österreich - 70 Jahre Wahlrechtsentwicklung |  |
Zwischen der ersten Wahl eines Parlaments in Österreich und der Einführung des Frauenwahlrechts liegen rund 70 Jahre Wahlrechtsentwicklung. Sie waren geprägt von zaghaften Fort-, aber auch kräftigen Rückschritten.
5.1 Monarchie |  |
In der Habsburgermonarchie war das Wahlrecht lange an Besitz und Steuerleistung geknüpft. Nur jene, die über entsprechendes Vermögen oder eine besondere Stellung verfügten, durften an Wahlen teilnehmen. Das galt unabhängig vom Geschlecht.
Mit der Reichsratswahlordnung 1907 wurde das allgemeine und gleiche Wahlrecht der Männer umgesetzt. Damit verloren aber die wenigen privilegierten Frauen, die bis dahin das Wahlrecht hatten, ihr Stimmrecht. Auf Landtags- und Gemeindeebene konnten sie das Stimmrecht zwar zum Teil weiterhin ausüben, doch bestanden hier uneinheitliche Regelungen.
Der Versuch, den Frauen das Wahlrecht auf Gemeindeebene zu entziehen, hatte in Niederösterreich aber schon 1889 eine Frauenstimmrechtsbewegung ausgelöst: Es gab Petitionen und Zeitschriften, aber auch Versammlungen und Demonstrationen.
1911 fand in Wien anlässlich des Internationalen Frauentages für den Kampf um das Frauenstimmrecht eine Demonstration auf der Ringstraße statt. Die "Arbeiter - Zeitung" berichtete von 20.000 Teilnehmerinnen. Diese Bewegung wurde auch von einzelnen Männern unterstützt.
Am 11. und am 12. Juni 1913 wurde in Wien eine internationale Frauenstimmrechtskonferenz abgehalten, die wiederum von Demonstrationen begleitet wurde. Doch der lange Kampf der Frauen um politische Mitbestimmung sollte erst nach dem Ende des Ersten Weltkrieges von Erfolg gekrönt werden.
Durch den Einsatz der Frauen während des Ersten Weltkriegs veränderte sich ihre gesellschaftliche und wirtschaftliche Stellung. Als die Männer zum Kriegsdienst ausrückten, übernahmen viele Frauen Tätigkeiten, die zuvor meist von Männern ausgeübt worden waren – etwa als Schaffnerin oder Briefträgerin. An der Front wirkten sie als Krankenschwestern, im Hinterland kümmerten sie sich um Material- und Geldsammlungen sowie öffentliche Ausspeisungen im Kampf gegen den Hunger. All dies – einhergehend mit einem stärkeren weiblichen Selbstbewusstsein – fand in der verfassungsrechtlichen Verankerung des allgemeinen und gleichen Frauenwahlrechts am 12. November 1918 seinen Ausdruck.
5.2 Erste Republik |  |
Auf der Grundlage der in diesem Gesetz über die Staats- und Regierungsform von Deutschösterreich getroffenen verfassungsrechtlichen Anordnung beschloss die Provisorische Nationalversammlung am 18. Dezember 1918 das Gesetz über die Wahlordnung für die Konstituierende Nationalversammlung.
Bei der Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung am 16. Februar 1919 gaben 82,10 Prozent aller wahlberechtigten Frauen und 86,98 Prozent der Männer ihre Stimme ab. Nicht wahlberechtigt waren zu diesem Zeitpunkt Prostituierte. Sie erhielten das Wahlrecht erst im Jahr 1923.
IT - Hinweis
https://www.parlament.gv.at/verstehen/demokratie-wahlen/frauen-im-parlament/wahlrecht (8.3.2025)
6 Gesetze zur Förderung von Frauen - Österreich |  |
Gesetze gelten grundsätzlich für alle Menschen, die in Österreich leben, auf gleiche Weise. Die Bundesverfassung garantiert, dass alle, die in Österreich leben, gleichberechtigt sind. Trotzdem braucht es Gesetze, die dieses Anliegen durchsetzen und schützen sollen. Besondere Bedeutung kommt jenen Gesetzen zu, die speziell Anliegen von Frauen aufgreifen.
Bis in die siebziger Jahre war es im österreichischen Recht selbstverständlich, dass den Männern eine Vorrangstellung zukam. Noch immer wird diese Auffassung in vielen Bereichen der Gesellschaft vertreten. Maßnahmen zur Förderung der Gleichbehandlung von Frauen, sowie das Eingehen auf besondere Lebensphasen und Betreuungsverpflichtungen waren und sind auch im Parlament umstritten. Schritt für Schritt wurden in den letzten Jahrzehnten aber Gesetze diskutiert, beschlossen und umgesetzt. Heute werden sie nicht nur zum Maßstab für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern in der Lebens- und Arbeitswelt, sondern sie sind auch Vorbild für Maßnahmen zur Förderung von Inklusion und Vielfalt in Österreich.
Alle Beschlüsse und Dokumente des Nationalrats und des Bundesrats werden für den Index zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrats und des Bundesrats auch mit Schlagwörtern erfasst. Unter dem Schlagwort "Frauen" findet man seit 1996 alle relevanten Unterlagen auch auf der Website des Parlaments.
Österreich ist verpflichtet, sich an internationale Vereinbarungen zu halten – etwa von jenen Staatenbünden, in denen es Mitglied ist.
6.1 Vereinte Nationen |  |
Die Frauenrechtskonvention der Vereinten Nationen führt das Diskriminierungsverbot einerseits und das Gleichstellungsgebot andererseits differenziert aus und ist damit das bedeutendste völkerrechtliche Übereinkommen zum Schutz von Frauen.
Der Vertrag wurde am 18. Dezember 1979 von der UN - Generalversammlung angenommen und trat am 3. September 1981 in Kraft.
Das am 6. Oktober 1999 verabschiedete Fakultativprotokoll ermöglicht es dem UN - Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau, Mitteilungen über Verletzungen der Konvention zu prüfen und Untersuchungen einzuleiten.
6.1 Europäische Union |  |
Gleichstellung in der Europäischen Union
Rechtsvorschriften und Grundsatzdokumente zur Geschlechtergleichstellung:
Richtlinie des Rats zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen beim Zugang zu und bei der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen
Europäischer Pakt für die Gleichstellung der Geschlechter
Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020-2025
Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK): insbesondere Art. 14 Diskriminierungsverbot
IT - Hinweis
https://www.parlament.gv.at/verstehen/demokratie-wahlen/frauen-im-parlament/gesetze (8.3.2025)
7 Frauenanteil in Parlamenten |  |
Das Fachdossier beschäftigt sich mit dem Frauenanteil im österreichischen Parlament sowie den Landtagen und liefert Vergleichswerte zu anderen europäischen Ländern.
Dieses Fachdossier wurde am 06.03.2020 erstveröffentlicht und zuletzt am 22.03.2024 aktualisiert.
Die Vertretung von Frauen in Parlamenten wird international als ein entscheidender Faktor für die Stärkung der Teilhabe von Frauen am politischen Leben gesehen. Eine wesentliche Voraussetzung für eine gleichberechtigte Teilhabe am politischen Leben ist das Wahlrecht.
7.1 Österreich |  |
Seit Frauen im österreichischen Parlament vertreten sind, ist ihr Anteil grundsätzlich gestiegen. Diese Entwicklung war aber nicht kontinuierlich, sondern sowohl im Nationalrat als auch Bundesrat immer wieder Schwankungen unterworfen.
Im Nationalrat sind mit Stand 22. März 2024 von den 183 Abgeordneten 74 Frauen (40,44 Prozent). Damit ist der Frauenanteil von zuletzt 39,89 Prozent (Stand 05.07.2023) wieder auf knapp über 40 Prozent gestiegen (laufend aktualisierter Frauenanteil im Nationalrat).
Im Bundesrat sind 28 der 60 Mitglieder weiblich (46,67 Prozent). Mit Entschließung des Bundespräsidenten vom 26. Juni 2023 verkleinerte sich der Bundesrat von 61 auf 60 Mitglieder: Im Zuge dessen verlor zunächst ein männlicher Bundesrat sein Mandat und der Frauenanteil stieg mit 48,33 Prozent auf beinahe die Hälfte der Mitglieder (Stand 05.07.2023). Nachdem eine Bundesrätin Anfang 2024 in den Landtag wechselte Prozent und ein männlicher Bundesrat nachfolgte, beträgt der Frauenanteil aktuell 46,67 Prozent (laufend aktualisierter Frauenanteil im Bundesrat).
Große Unterschiede in der Geschlechterparität gibt es zwischen den Parlamentsklubs: Am 22. März 2024 reicht der Frauenanteil im Nationalrat von 13,33 Prozent im Nationalrats - Klub der FPÖ bis hin zu 61,54 Prozent beim Nationalrats -Klub der Grünen. Im Bundesrat hat die Fraktion der Grünen den höchsten Frauenanteil mit 66,67 Prozent, am wenigsten Frauen sind in der FPÖ - Fraktion vertreten (30 Prozent).
Der Frauenanteil in den Landtagen der Bundesländernach der Konstituierung des Salzburger Landtags am 14. Juni 2023 bewegt sich zu diesem Stichtag in den Landtagen zwischen 16,7 Prozent in Kärnten und 47,2 Prozent in Vorarlberg.
7.2 Internationaler Vergleich |  |
Die Inter -Parliamentary Union (IPU) stellt auf ihrer Plattform PARLINE umfassende Daten zum Frauenanteil in den nationalen Parlamente zur Verfügung. Diese Daten werden laufend überprüft und aktualisiert. Österreich liegt auf Platz 26 von 186 Staaten (Stand der Auswertung: Jänner 2024 unter Heranziehen der Ergebnisse der letzten Nationalratswahlen 2019).
An der Spitze des Rankings liegt trotz zahlreicher Demokratiedefizite (vgl. Freedom House Report) das ostafrikanische Ruanda mit einem Frauenanteil von 61,3 %. Gar keine Frauen sind im Parlament im Jemen vertreten.
Innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union belegt Schweden mit 46,7 Prozent Platz 1. Im Europäischen Parlament (EP) betrug der Frauenanteil nach dem Brexit 39,5 Prozent. Bei der Wahl zum Europäischen Parlament 2019 galt in elf Mitgliedsstaaten eine Quotenregel (zwischen > 0 und 50 %).
Es gibt verschiedene Strategien, mit denen versucht wird, ein ausgewogenes Verhältnis der Geschlechter in Vertretungskörpern zu erreichen. Im Folgenden werden beispielhaft Ansätze aus Österreich, Deutschland und Frankreich dargestellt.
7.2.1 Österreich |  |
In Österreich gibt es keine gesetzlich festgelegten Frauenquoten im Wahlrecht für allgemeine Vertretungskörper (Nationalrat, Landtage) und Selbstverwaltungskörper. Freiwillige Quotenregelungen (tw. auf verschiedenen Organisationsebenen) haben die ÖVP, SPÖ und die Grünen.
Wahllisten nach dem Reißverschluss - Prinzip führen aber nur dann zu einem höheren Frauenanteil bei der Mandatsverteilung, wenn Frauen auch auf die Spitzenplätze der Listen gesetzt werden. Bei kleinen Wahlkreisen, wie sie für Österreich typisch sind, versprechen nur die vorderen Listenplätze Erfolg. Dabei müssen für die Nationalratswahlen auch die Erfolgschancen je nach Partei und Listenebene (Bund, Land, Regionalwahlkreis) sowie die Effekte des Vorzugsstimmensystems berücksichtigt werden. Zur Erhöhung des Frauenanteils wird in solchen Wahlsystemen daher auch die Aufteilung von Spitzenpositionen auf den Listen empfohlen („horizontale Quotierung“).
In Österreich besteht im Wiener Gemeinderat ein Klubfinanzierungsmodell, das eine Förderung nach Frauenanteil vorsieht. Die Zahlung richtet sich nach dem Prozentanteil der Frauen unter den Klub - Mitgliedern des Gemeinderates. Voraussetzung für eine Förderung ist, dass der Anteil mindestens ein Drittel beträgt. Für Nationalrat und Bundesrat sieht das Klubfinanzierungsgesetz einen Bonus vor, wenn eine Frauenquote von 40 Prozent in den parlamentarischen Klubs erreicht wird.
7.2.2 Deutschland |  |
In Deutschland bewegt sich der Frauenanteil in den Länderparlamenten zwischen 25,1 Prozent in Bayern und 43,9 Prozent in Hamburg (Stand Oktober 2023).
2019 sah erstmals ein Landesgesetz vor, dass die Wahllisten quotenmäßig zwischen Männern und Frauen aufgeteilt werden sollten: Mit dem Brandenburger Inklusive Parité - Gesetz beschloss der Landtag, dass gleich viele Frauen und Männer (= Parité) auf den Partei - Landeslisten stehen müssen. Es löste damit eine breite Debatte über die Verfassungsmäßigkeit von Paritätsbestimmungen aus. Umstritten war, ob durch derartige Wahlrechtsbestimmungen in die Wahlrechtsfreiheit und -gleichheit sowie die Parteienfreiheit eingegriffen werde. Dabei könnten die Standpunkte nicht weiter auseinander liegen: Während die einen von Beginn an Paritätsgesetze als verfassungswidrig einstuften, leiten andere ein Gebot für den Erlass derartiger Regelungen direkt aus der Verfassung ab.
Dem Beispiel Brandenburgs folgte 2019 kurze Zeit später Thüringen mit einem Paritätsgesetz, das mit 1. Jänner 2020 in Kraft trat. Im Juli 2020 entschied der Thüringer Verfassungsgerichtshof, dass die Vorgabe starr paritätischer Quoten bei der Aufstellung der Listenplätze gegen die Landesverfassung verstoße: Sowohl die Freiheit der politischen Parteien als auch der Wählerinnen sei dadurch verletzt. Eine spätere Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs wies das Bundesverfassungsgericht 2022 als unzulässig zurück. Nur wenige Monate nach dem Urteil des Thüringer Verfassungsgerichtshofs stellte das Brandenburger Verfassungsgericht fest, dass das Brandenburger Inklusive Parité - Gesetz ebenfalls verfassungswidrig sei.
Auch das Bundesverfassungsgericht beschäftigte sich 2020 mit Paritätsregelungen: Der Gerichtshof wies eine Wahlprüfungsbeschwerde zurück, die sich auf das Fehlen gesetzlicher Regelungen zur paritätischen Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts bei der deutschen Bundestagswahl bezog. Die Beschwerde habe nicht hinreichend begründet, dass der Bundesgesetzgeber zu einer paritätischen Ausgestaltung des Wahlvorschlagsrechts der politischen Parteien verpflichtet sei.
7.2.3 Frankreich |  |
In Frankreich liegt der Frauenanteil bei 37 Prozent im Unterhaus (Assemblée nationale) und 36 Prozent im Senat (Stand nach den Wahlen 2022). Seit 1999 steht der gleiche Zugang zu Wahlmandaten und -ämter für Frauen und Männer in Verfassungsrang. Seit 2001 ist ein Parité - Gesetz in Kraft, das eine verpflichtende Parität bei der Erstellung von Wahllisten vorsieht. Verstöße werden mit Kürzungen der staatlichen Parteienfinanzierung geahndet.
Als Sanktionen bei Nichteinhaltung einer Quotenregelung sind finanzielle Strafzahlungen oder der Entfall einer ansonsten ausgezahlten Förderung (Kürzung der Parteienfinanzierung, nicht ausgezahlter Bonus) verbreitet. Eine andere Sanktionsmöglichkeit liegt in der Zurückweisung von Wahllisten, die eine entsprechende Quote nicht erfüllen. Die Zurückweisung wird in der Regel als effektiver als finanzielle Sanktionen bewertet.
7.2.4 Zusammenfassung |  |
Ein ausgewogenes Verhältnis von Frauen und Männern in Parlamenten stellt ein wesentliches Kriterium für „gender - sensitive“ Parlamente dar (Inter - Parliamentary Union). Empirische Studien zeigen, dass Quoten dann einen höheren Frauenanteil fördern, wenn sie in Abstimmung mit dem Wahlsystem eingesetzt werden.
Außerdem setzen Parlamente vielfach selbst Maßnahmen, um die Rahmenbedingungen parlamentarischer Arbeit für Frauen zu verbessern. Das irische Parlament hat zum Beispiel ein "Forum on a Family Friendly and Inclusive Parliament" eingerichtet.
IT - Hinweis
https://www.parlament.gv.at/fachinfos/rlw/Wie-steht-es-um-den-Frauenanteil-in-Parlamenten (8.3.2025)
8 Wandel der Familie |  |
Es wird weniger geheiratet, es werden weniger Kinder geboren und die Vielfalt an Lebensformen hat zugenommen. Mancher sieht da das Ende der Familie gekommen. Doch ein Blick in die Historie der Familie zeigt, dass es Wandel und Vielfalt schon immer gab. Die Pluralität von Familie ist nicht ihr Ende, sondern die Voraussetzung für ihr Überleben (vgl. SCHNEIDER 2013).
8.1 Familie |  |
Vielfalt ist typisch für Familie. Variation ist kein Indikator für die Auflösung von Familie, sondern vielmehr eine notwendige Voraussetzung für ihre Überlebensfähigkeit. Das zeigt auch die Geschichte.
Bei kaum einem anderen Thema wird der Begriff von der guten alten Zeit so schnell bemüht. Ein Grund mag sicherlich darin liegen, dass es beim Thema Familie häufig nicht in erster Linie um objektiv feststellbare Sachverhalte geht, sondern um idealisierte Vorstellungen. Legenden und die Ideen von Wollen und Sollen stehen eher im Mittelpunkt als die empirische Realität von Familie. Soweit Fakten bemüht werden, basiert das Bild von Familie vielfach auf der Betrachtung ihres Wandels während der vergangenen 30 oder 40 Jahre (vgl. KAELBLE 2007, 27 - 28).
Ein fundiertes Verständnis von Familie kann mit dieser kurzfristigen Perspektive jedoch nicht gewonnen werden. Dafür bedarf es einer Gesamtschau ihrer historischen Entwicklung. Fundierte wissenschaftliche Befunde über den Wandel der Familie existieren für die Zeit ab dem späten 18. Jahrhundert. Sie zeichnen ein sehr facettenreiches Bild von Familie und lassen gleichzeitig ihre hohe Formbarkeit erkennen (vgl. GESTRICH 2013).
Versucht man diese vielschichtigen Befunde zu verdichten, werden drei Wesensmerkmale von Familie erkennbar.
- Das erste Wesensmerkmal besteht in der "Grundidee" von Familie als Versorgungs- und Verantwortungsgemeinschaft von zumeist miteinander verwandten Menschen, die solidarisch füreinander sorgen, um so das Wohl aller zu mehren. Die Befunde der historischen Familienforschung verweisen hier aber auch auf die typische Ambivalenz der Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern. Familie ist nicht nur als Hort von Harmonie, Glück und Gemeinsamkeit zu denken, sondern auch als Spannungsfeld, in dem Menschen mit konkurrierenden Absichten miteinander ringen und um knappe Ressourcen wie Nahrung, Wertschätzung oder Erbe streiten.
- Das zweite Wesensmerkmal von Familie besteht in der offenkundigen Wandelbarkeit und Anpassungsfähigkeit der Familie an sich ändernde gesellschaftliche Verhältnisse. Diese Eigenschaft verdeutlicht, dass es sich bei Familie nicht um etwas Naturwüchsiges handelt, sondern um etwas Soziales. Angemessen ist es, Familie als soziale Institution zu begreifen, die in fast allen Gesellschaften vorzufinden ist. Ihre Strukturen und Aufgaben sind kulturell geprägt und nicht universell gegeben. Daher variiert die Ausgestaltung von Familie in verschiedenen Regionen, sozialen Schichten und Epochen beträchtlich.
- Das dritte Wesensmerkmal von Familie, auch das lehrt der Blick in ihre Historie, besteht in der Vielfalt ihrer Erscheinungsformen. Das Neben- und Nacheinander unterschiedlicher Familienformen ist typisch für die meisten Zeiten. Soweit Belege vorliegen, lässt sich für Westdeutschland nur für die Zeit zwischen 1955 und 1975 eine außergewöhnliche Einheitlichkeit der Familienformen im Sinne einer ausgeprägten Dominanz der bürgerlichen Kleinfamilie feststellen. Die Charakteristika dieses Familientyps bestehen im Zusammenleben von Eltern und Kindern unter einem Dach, in der Ehelichkeit der Partnerbeziehung und in der strengen Arbeitsteilung der Geschlechter, mit der Ernährerrolle beim Mann und der Zuständigkeit für Haus und Kinder bei der Frau.
Historisch betrachtet handelt es sich bei dieser Einheitlichkeit um eine Sondersituation in der Nachkriegszeit. In der DDR dominierte, politisch gewollt, ebenfalls eine Familienform: die sozialistische Familie. Ihr Kennzeichen bestand in der Vollerwerbstätigkeit beider Ehepartner. Die jüngsten Entwicklungen hin zu einer wieder zunehmenden Pluralität der Familienformen, die später unter dem Stichwort "Pluralisierung" ausführlicher behandelt wird, kann im historischen Vergleich als Rückkehr zur altbekannten Normalität der Vielfalt interpretiert werden. Diese besondere Situation der Familie vor 50 Jahren ist daher auch nicht als Bezugspunkt zur Deutung ihres Wandels in den vergangenen Jahrzehnten geeignet.
Vielfalt ist typisch für Familie und besteht in verschiedener Hinsicht. Zunächst ist ein enger Zusammenhang zwischen der sozialen Lage und der jeweiligen Familienform feststellbar. Stets war die bäuerliche Familie anders als die Familie im städtischen akademischen Milieu. Nachweisbar sind zudem unmittelbare Einflüsse gesellschaftlicher Strukturmerkmale auf die Familienformen. Ein Beispiel dafür aus der Vergangenheit ist das Erbrecht: In Gegenden mit Anerbenrecht, das heißt, ein Kind, meist der älteste Sohn, erbt alles, dominierten große Familien. In Gegenden mit Realteilung, das heißt jedes Kind erbt den gleichen Teil, haben dagegen kleine Familien überwogen.
Familie ist eine Strukturform, die durch ihre Größe und personelle Zusammensetzung charakterisiert ist. Familie ist aber stets auch ein Entwicklungsverlauf, der durch Phasen und Übergänge gegliedert ist.
- Heirat, Geburt, Tod, Auszug und Scheidung markieren relevante Übergänge in der Familienentwicklung. In dieser Hinsicht sind ebenfalls ausgeprägte Variationen im Hinblick auf Häufigkeit, Timing im Lebensverlauf und sozialer Bewertung zu verzeichnen.
- Lange Zeit war Eheschließung ein Privileg. Feudalherren, Magistrat, Gilde oder Zunft gestatteten nur denjenigen die Heirat, die aufgrund von Besitz oder Einkommen in der Lage waren, eine Familie zu ernähren. Vielen aus den unteren sozialen Schichten blieb davor die Eheschließung verwehrt, da sie die dafür nötige materielle Grundlage nicht nachweisen konnten und keine Heiratserlaubnis erhielten. Nichteheliche Verbindungen, nichteheliche Elternschaft und ein hohes Heiratsalter waren die häufige Folge.
8.2 Pluralisierung der Familie |  |
Der Wandel der Familie seit den sechziger Jahren wird verbreitet unter dem Stichwort "Pluralisierung der Lebensformen" interpretiert. Ausgangspunkt ist die bereits erwähnte historische Besonderheit der weiten Verbreitung der bürgerlichen Kernfamilie in der Zeit von 1955 bis 1975. Die Kernfamilie ist zwar auch gegenwärtig die häufigste Familienform im mittleren Erwachsenenalter, aber seit den siebziger Jahren ist ihr Anteil stetig zurückgegangen. Die Zahl sogenannter nicht konventioneller Lebensformen ist hingegen gewachsen. Dazu gehören unter anderem Alleinerziehende, nichteheliche Lebensgemeinschaften, Alleinlebende, Fernbeziehungen und gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften (vgl. KAELBLE 2007, 28 - 29).
Die zu beobachtende Pluralisierung resultiert nicht primär aus der Herausbildung neuer Familienformen. Sie ist vielmehr Ergebnis einer gleichmäßigeren Verbreitung vorhandener Formen. Mit Ausnahme der Eingetragenen Lebenspartnerschaft für zwei Menschen gleichen Geschlechts haben alle anderen Lebensformen ihre historischen Entsprechungen und sind mithin nicht neu. Neu sind lediglich die Entstehungsumstände dieser Lebensformen und ihre soziale Bewertung.
In der Vergangenheit waren es sozial diskriminierte Formen, die oftmals infolge von Notlagen unfreiwillig entstanden sind, etwa die nichteheliche Lebensgemeinschaft als Folge einer nicht erteilten Heiratserlaubnis.Heute handelt es sich um sozial weithin akzeptierte Alternativen, die meist freiwillig gewählt und aufrechterhalten werden. Pluralisierung entsteht also nicht infolge einer größeren Vielfalt von Lebensformen, sondern über die gleichmäßigere Verbreitung der vorhandenen Formen (vgl. WAGNER 2008, 99 - 120).
8.3 Vielfalt der Familie und Familienpolitik |  |
Festzuhalten ist zunächst, dass Familienpolitik in modernen Gesellschaften nicht legitimiert ist, direkt Einfluss auf die Gestaltung der Familie und des Familienlebens zu nehmen. Auch ist sie nicht legitimiert, ein Leitbild von der "richtigen" oder "erwünschten" Familie vorzugeben und einseitig zu fördern. Eine moderne Familienpolitik benötigt eine klare Zielbestimmung und kommt ohne die radikale Akzeptanz der Vielfalt der Familie nicht aus.
Im Mittelpunkt einer modernen Familienpolitik sollte die Verbesserung der Lebensqualität der Menschen, insbesondere von Eltern und Kindern stehen. Lebensqualität gründet dabei auf den Säulen Chancengleichheit, wirtschaftliche Stabilität und Wahlfreiheit (vgl. SCHNEIDER 2013, 94 - 120). Damit Wahlfreiheit bei der Lebensführung besteht, müssen die Menschen die Chance haben, Familie – in den rechtlich gesteckten Grenzen – so zu leben und so zu gestalten, wie sie es wünschen und für richtig erachten.
Die Chancen auf berufliche, familiale und gesellschaftliche Teilhabe dürfen nicht durch Geschlecht oder Lebensform begrenzt werden. Gesellschaftliche Strukturen, die in dieser Hinsicht einschränkend wirken, sind durch eine gezielte familienorientierte Politik umzugestalten, soweit dies möglich ist.
Die Vielfalt der Erscheinungsformen und der Entwicklungsverläufe sind Kernmerkmale von Familie und kennzeichnen die Lebensrealität. Politisch wird diese Vielfalt bislang noch nicht angemessen anerkannt und nicht hinreichend in Beziehung gesetzt.
Solange zum Beispiel das Angebot an Kinderbetreuungsplätzen und an Teilzeitarbeitsplätzen hinter der Nachfrage zurückbleibt und der Abschied vom immanenten Leitbild der "bürgerlichen Normalfamilie" nicht erfolgt, ist die Wahlfreiheit der Lebensführung begrenzt und die Lebensqualität für viele Menschen beeinträchtigt.
IT - Hinweis
https://www.bpb.de/themen/familie/familienpolitik/207447/vielfalt-der-familie/ (8.3.2025)
8.4 Aktueller Bezug - Regierungsspitze zum Frauentag: Rechte von Frauen stärken |  |
Die Regierungsspitze Österreichs hat sich anlässlich des Weltfrauentags 8. März 2025 zur Stärkung der Frauenrechte bekannt. Die Forderung nach umfassender Gleichberechtigung gelte nicht nur heute, sondern an jedem Tag im Jahr, schrieb Kanzler Christian Stocker (ÖVP). Als Bundesregierung werde man konsequent daran arbeiten, die Rahmenbedingungen dafür zu verbessern.
Vizekanzler Andreas Babler versicherte: „Wir machen Frauenrechte stärker.“ In einem Social - Media - Video führte der SPÖ - Chef geplante Maßnahmen wie die verpflichtende Lohntransparenz als Meilensteine an. So werde gleicher Lohn für gleiche Arbeit erreicht, versicherte der Vizekanzler verbunden mit dem Wunsch nach einem „kämpferischen Frauentag“.
NEOS - Chefin Beate Meinl - Reisinger sagte in der Ö1 - Interviewreihe „Im Journal zu Gast“, sie wolle, dass weltweit alle Frauen und Mädchen die „Chance auf Gleichberechtigung und Gleichstellung haben – und vor allem auch auf ein selbstbestimmtes Leben“ > https://orf.at/#/stories/3387063/ (8.3.2025)
8.5 Kritischer Diskurs - Tauziehen um Gleichberechtigung |  |
Im Laufe seiner Geschichte hat der Feminismus viele Wellen durchlebt – und sieht sich heutzutage mit ebenso vielen konservativen Gegenströmungen konfrontiert. Wie es um das Tauziehen um Gleichberechtigung bestellt ist, warum Wahlfreiheit ein falsches Versprechen darstellt und wieso trotz allem Optimismus angebracht ist, erklären Expertinnen im Gespräch mit ORF.at.
Jedes Jahr zum Frauentag werden unzählige Studien veröffentlicht, die die weltweite Geschlechterungleichheit in Zahlen gießen. Der Tenor ist der immer gleiche: Ob in Gesellschaft, Politik, Wirtschaft oder im Privaten, Frauen und Mädchen werden in so gut wie allen Bereichen des Lebens strukturell benachteiligt.
Und dann gibt es wirkmächtige Erzählungen wie jene von Gisele Pelicot, die mit ihrer Courage und ihrem Appell, „die Scham und Schande müsse die Seite wechseln“, vom Vergewaltigungsopfer zur Frauenrechtsikone wurde – und damit einen feministischen Meilenstein setzte.
Pelicot habe Unglaubliches auf sich genommen und viel erreicht, vor allem im wichtigen Bereich der sexualisierten Gewalt, sagt die Journalistin Elfriede Hammerl, die jahrzehntelang im „profil“ feministische Kolumnen veröffentlichte, gegenüber ORF.at. Doch „man darf nicht verlangen, dass ein einziger Fall die Gesellschaft umkippt. Und es heißt nicht, dass es nicht noch vieles gibt, das umgekrempelt gehört.“
Seit den siebziger Jahren verfasst Hammerl Kolumnen und Bücher, 1997 rief sie das erste Frauenvolksbegehren mit ins Leben. Zwar sei es erfreulich, dass sich die Bildungssituation gebessert habe und mittlerweile viel mehr junge Frauen maturieren und studieren, allerdings wirke sich das „leider überhaupt nicht“ auf die Gehaltsebene aus, so Hammerl.
Ähnlich äußert sich die Kulturwissenschaftlerin Beatrice Frasl im Gespräch mit ORF.at: Die Lohnschere gehe zwar zu, aber „im Schneckentempo“. Das Geld sei ebenso ungleich verteilt wie unbezahlte und bezahlte Arbeit: „Frauen arbeiten mehr als Männer, aber bekommen für den Großteil ihrer Arbeit kein Geld.“ Aus einer feministischen Perspektive gelte es daher, sich zu überlegen, wie sich das System umbauen lasse.
Auch Hammerl meint, gerade am Land gebe es, was die außerhäusliche Kinderbetreuung für erwerbstätige Frauen betreffe, viel Aufholbedarf – nicht nur bei den Möglichkeiten, sondern zugleich auch bei gesellschaftlichen Vorstellungen.
Nicht zuletzt sei das auch eine Frage von vorherrschenden Rollenklischees: „Was überhaupt nicht auszurotten ist, ist die Idee, dass die Versorgungsehe ein Lebensmodell für Frauen darstellt.“ Gemeint ist damit, dass Frauen finanziell von ihrem Ehepartner abhängig sind. Vor diesem Hintergrund sei auch das Konzept der Wahlfreiheit „idiotisch“, schließlich habe jeder Mensch die Freiheit, die Erwerbsmöglichkeit abzuwählen. „Die Frage ist dann halt nur, wer die Miete zahlt“, so Hammerl.
Beatrice Frasl ist Autorin, Kolumnistin, Kulturwissenschaftlerin und bekannt für ihren feministischen Podcast „Große Töchter“.
Auch die, wie die Expertinnen meinen, medial etwas aufgebauschte „Tradwives“ - Bewegung, bei der sich junge Frauen bewusst für die „traditionellen“ Rollen der Hausfrau und Mutter entscheiden, sieht Hammerl kritisch. Weil sie etwas vorgebe, das es nicht gibt, nämlich die Sicherheit der Versorgung. „Frauen müssen sich darüber im Klaren sein, dass sie selber abgesichert sein sollten.“ Auch wenn finanzielle Unabhängigkeit zweifellos adäquate Rahmenbedingungen erfordere.
Für Frasl sei der Gedanke indes nachvollziehbar, dass Frauen nicht mehr alle Rollen ausfüllen wollten, nicht mehr Hausfrau und Mutter sein und zusätzlich noch 40 Stunden arbeiten gehen müssen. „Das kann nicht funktionieren.“ Die Kulturwissenschaftlerin kritisiert zudem, dass Maßnahmen wie die Bildungskarenz, die nachweislich Frauen zugutekomme, dann auch noch abgeschafft werden.
Ohnehin sei es um die Gleichstellung in Österreich nicht gut bestellt. Zwar habe es vereinzelt Schritte in die richtige Richtung gegeben, etwa im Bereich der Gendermedizin, doch große politische Würfe seien bisher ausgeblieben. „Manche glauben, was Feminismus betrifft, ist schon alles erledigt. Wenn man sich aber die Zahlen ansieht, zeigt sich, dass es in manchen Bereichen seit Jahrzehnten überhaupt keine Fortschritte mehr gegeben hat.“
Auch stellt Frasl bei Frauenrechten generell einen weltweiten Backlash fest, der sich etwa im Aufstieg rechtspopulistischer Parteien, der Zerstörung von einst hart umkämpften feministischen Errungenschaften wie dem Abtreibungsrecht in den USA und der Einzementierung klassischer Geschlechterrollen manifestiere.
Gerade in Krisenzeiten würden Menschen versuchen, sich an Altbekanntem festzuhalten, gebe das doch Sicherheit. „Da gehören diese sogenannten traditionellen Werte dazu“, so Frasl.
Dazu komme das Zurückholen einer „alten, starken Männlichkeit“, wie sich etwa in Charakteren wie dem US - Präsidenten Donald Trump und seinen Gefolgsmännern eindrücklich zeige. Die Frage, die sie auch selbst nicht beantworten könne, sei, ob es sich dabei „um ein letztes Aufbegehren des Patriarchats“ oder „tatsächlich um eine neue Zeitordnung“ handle.
Trump verkörpert für Frasl die Rückkehr des Patriarchats – ob als „letztes Aufbegehren oder neue Zeitordnung“. Schließlich stehe außer Frage, dass Männer vom derzeitigen System nach wie vor enorm profitieren. Hammerl sagt dazu: „Grundsätzlich glaube ich natürlich, dass Männer gefälligst zur Kenntnis nehmen sollen, dass eine gerechte Welt nicht eine sein kann, in der sie Privilegien genießen.“ Auch wenn das freilich schmerzhaft sei.
Auf die Frage, ob man Männer nicht bewusster in feministische Bestrebungen einbeziehen müsse, meint Hammerl daher: „Wir haben immer alle Männer an Bord holen wollen. Aber die haben meistens einen großen Bogen darum gemacht. Weil so lustig war das nicht, was sie an Bord erwartet hat.“ Frasl appelliert, „nicht auf die Männer zu warten“. Vielmehr sei die Politik, gerade angesichts trüber Zukunftsperspektiven, gefordert, mit progressiver Frauenpolitik „vorzupreschen“.
Optimismus ist für Frasl nichts weniger als eine politische Haltung. „Man muss immer so handeln, als ob Veränderung möglich wäre. Das haben Menschen immer schon getan, und irgendwann wurde sie dann auch möglich. Trotz aller Widerstände.“ Ähnlich sieht das Hammerl: „Es geht ja nicht anders als zu glauben und zu hoffen, dass es möglich ist. Nur zu verzweifeln bringt auch nichts.“
IT - Hinweis
https://orf.at/stories/3386667/ (8.3.2025)
9 Familienpolitik |  |
9.1 Einleitung |  |
Das Interesse für den Bereich "Familie" und die damit verbundenen Aspekte ergibt sich aus den vielfältigen Fragen der Politischen Bildung und der Auseinandersetzung mit interkulturellen Phänomenen.
Wer sich mit der Sozialgeschichte Europas auseinandersetzt, stößt auf die Geschichte der Familie und erkennt, dass diese ein interessanter Bereich Politischer Bildung darstellt (vgl. KAELBLE 2007, 27-56).
Im Folgenden wird auf die Entwicklung von Familienwissenschaft, historische Merkmale von Formen und Beziehungen von Familien, Familienkonzepte im Bürgertum, Erscheinungsformen gegenwärtiger Familien, Familienpolitik und europäische Aspekte, Elternbildung als Bedeutung und Beratungskonzepte eingegangen.
Im Fokus stehen erziehungs- bzw. bildungswissenschaftliche Aspekte und Elemente einer Politischen Bildung.
Innerwissenschaftliche sozialwissenschaftliche Themenfelder als eigene Studiengänge sind eher selten. Ein neuer Themenbereich als angewandter Wissenschaftszweig ist mit Familienwissenschaft als Studiengang an der Hochschule für Angewandte Wissenschaft in Hamburg seit dem Sommersemester 2013 eingerichtet (vgl. WEIDTMANN 2013).
Aus der Perspektive der Politischen Bildung bietet sich an, mit dem Phänomen Familie zu beschäftigen. Gefragt ist hier Interdisziplinarität.
Interdisziplinarität wird seit der Bologna - Reform in der Hochschullandschaft vermehrt praktiziert.
Beispielhafte Studienformate entstanden etwa
im Managementbereich,
in European Studies,
Ökonomie,
Ökologie,
Kulturwissenschaften und
im Bildungsbereich (vgl. die vom Autor absolvierten Universitätslehrgänge in Salzburg und Klagenfurt; vgl. NEUE STUDIENGÄNGE AN DEUTSCHEN UNIS).
Vor- und Nachteile werden diskutiert, so etwa als "Studium light" und geringere Fundierung als ein Einzelstudiengang bzw. als Wissen mit gesteigerter Effizienz (Expertenwissen), übergreifenden Fachkenntnissen und Methodenkompetenz.
In den USA wächst die Zahl der interdisziplinären Studiengänge seit den neunziger Jahren deutlich (vgl. NATIONAL CENTER FOR EDUCATION STATISTICS 2013). Familienwissenschaft ist hier und im übrigen angelsächsischen Raum als "Family Science" oder "Family Studies" etabliert.
Sieht man sich die Entwicklung von Familienwissenschaften an, so erkennt man die sozialen und ökonomischen Veränderungen bereits mit dem Beginn des 20. Jahrhunderts.
Die Stadt - Land - Migration, urbane Vorortentwicklungen, Kinderarmut, Gewalt, die Emanzipation der Frauen, veränderte Berufstätigkeiten, die Technisierung des Haushalts und erhöhte Anforderungen an die Bildung kennzeichnen Faktoren einer Entwicklung der Familienwissenschaft.
Als einer der Meilensteine der Entwicklung der Family Studies wird heute die Studie "The Family: A Dynamic Interpretation" (1938) von Willard WALLERS angesehen. Ernest GROVES hat den Prozess, Familienwissenschaften als interdisziplinäre Disziplin besonders vorangetrieben (vgl. GROVES 1946, 25-26).
Heute gibt es in den USA zahlreiche Studiengänge, besonders an den "State Universities". Mit dem Beitrag von Wesley BURR und Geoffrey LEIGH (1983) etablierte sich die Familienwissenschaft endgültig als eigenständige Disziplin mit einem interdisziplinären Forschungsfeld und eigenen Paradigmen, Methodologien und Aspekten.
Im deutschsprachigen Raum gibt es wenige Versuche einer Etablierung dieses Wissenschaftsbereichs. Man neigt eher zu Projekten und persönlichen Initiativen von Wissenschaftlern, so etwa die Interdisziplinäre Forschungsstelle Familienwissenschaft (IFF) an der Universität Oldenburg, das Interdisziplinäre Zentrum für Familienforschung an der Ruhr - Universität Bochum und außeruniversitäre Forschungseinrichtungen ohne Lehre wie das Deutsche Jugendinstitut München (DJI) oder das Staatsinstitut für Familienforschung Bamberg (IFB). Gestrichen wurde der 2002 als Hertie -Stiftung eingerichtete Stiftungslehrstuhl für Familienwissenschaft an der Universität Erfurt 2007.
Trotz des Bedarfs für eine Bearbeitung der Bedeutung von Familie, Familienprogrammen und Familieninstitutionen im nationalen und internationalen Bereich existiert kein eigenständiger Studiengang in Österreich (vgl. das Plädoyer von WINGEN 2004, 48). Bemerkenswert auch das Plädoyer von SCHWENZER und AESCHLIMANN (2006, 509-510).
9.3 Forschungsstand deutschsprachiger Raum |  |
Im deutschsprachigen Raum ergibt sich unter Beachtung der Politischen Bildung ein Forschungsstand, der mit Göran THERNBORN (2004) mit einem ausgezeichneten Überblick über die Familie im 20. Jahrhundert in Form einer Weltgeschichte angesetzt werden kann. Sinnvoll ist die Beschränkung auf die Aspekte des Patriarchalismus, der Heiraten und Fertilität.
Andre BURGUIEREs Weltgeschichte der Familie (1996) und Philippe ARIES und Georges DUBYs "Geschichte des privaten Lebens" (1993) enthalten einzelne Kapitel europäischer Länder, umfassen aber nicht den letzten Teil des 20. Jahrhunderts.
Der Überblick über die europäische Familie von Andreas GESTRICH, Michael MITTERAUER und Jens - Uwe KRAUSE (2003) legt Schwerpunkte auch auf andere Epochen. Ein europäisches Gesamtbild erhält man auch nicht aus nationalen Überblicksdarstellungen (vgl. KAELBLE 2007, 28).
Zu erwähnen sind die ausgezeichnete Geschichte der Frauen von Giesela BOCK (2000), die Geschichte der Kindheit von Egle BECCHI und Dominique JULIA (1998), die Geschichte der Mütter von Yvonne KNIEBIEHLER (2000) und die Geschichte der Unverheirateten von Jean Claude BOLOGNE (2004).
9.4 Historische Merkmale von Familienformen und Familienbeziehungen |  |
Im Diskurs über heutige Familien mit ihren Leistungen spielen Vorstellungen über vergangene Familienverhältnisse eine Rolle. ROSENBAUM (1977) erkennt dies als wenig erstaunlich, weil die Besonderheit einer Situation erst dann erfasst wird, wenn man sie von einer davon abweichenden absetzt. Bestimmend ist die Perspektive der Gegenwart. Die Eltern - Kind - Gruppe in Mittel- und Westeuropa war nicht in große Verwandtschaftsverhältnisse eingebunden.
Die Kleinfamilie war nicht das Ergebnis des Übergangs von einer vormodernen in die moderne Familie. Es spielten religiöse Gründe eine Rolle wie etwa das kirchliche Heiratsverbot mit Ehen zwischen Verwandten.
Bestimmend ist ein Verwandtschaftssystem, dass keine der beiden Seiten der Ehepartner bevorzugt. Verwandt ist man mit allen Personen der mütterlichen und väterlichen Seite und bestimmt selbst die Präferenzen. Damit erhält die Kernfamilie eine zentrale Bedeutung.
9.5 Organisation der Arbeit |  |
Bestimmend ist die Organisation von Arbeit seit dem 11. und 12. Jahrhundert in Form einer Familiarisierung, ergänzt ab dem Hochmittelalter mit Gesinde in Form von Inhabern von Höfen und Handwerksbetrieben. Schon durch die Betriebsgrößen, die zumeist nur eine Familie ernähren konnten, kam es eher selten zu größeren Familien mit mehreren Generationen. Typisch war dagegen die Beschäftigung von Personal, das in den Haushalt integriert war.
Erst im 19. Jahrhundert stieg die Lebenserwartung und damit kam es häufiger zu einer Drei - Generationen - Familie, wobei diese bei Bauern eher verbreitet war. Im mobilen Bürgertum lebten die Generationen weiter entfernt voneinander (vgl. ROSENBAUM 2014, 20-21).
9.6 Familiengründung |  |
Wer wen heiraten durfte, war sozial und obrigkeitlich kontrolliert. Heirat und Familiengründung waren abhängig vom Eigentum und Vermögen. Nicht - Besitzende mussten ihre Befähigung nachweisen.
Von einer Heiratsbeschränkung besonders betroffen waren Angehörige einer unter - bäuerlichen Gruppe. Hier spielte auch der Charakter und der Lebenswandel eine Rolle. Bis in das 19. Jahrhundert war die Heiratsbeschränkung ein Mittel zum Erhalt von Unterschichten. Eine Heirat blieb ein Privileg und Statussymbol von Besitzenden (vgl. LIPP 1982, 228-598). Mit der zunehmenden ökonomischen Entwicklung mit Manufakturen und Hausindustrie bzw. hausindustrieller Arbeit kam es zu verschiedensten Erwerbsmöglichkeiten und einer leichteren Familiengründung.
Für Angehörige der Unterschicht blieb mitunter die Alternative einer "wilden Ehe" (vgl. ROSENBAUM 2014, 30-32). Zudem galt sie als Alternative zur legitimen, kirchlich und weltlich anerkannten Ehe. Als Ledig - Sein war der Staus vorgegeben, der für Kinder, Jugendliche und junge Erwachsenen sowie für alle hausrechtlich Abhängige wie Gesinde, Lehrlinge und Gesellen galt.
Bis in das 19. Jahrhundert unterlagen auch Soldaten und Studenten einem Heiratsverbot (vgl. MÖHLE 1999, 193). Bis in das 19. Jahrhundert war Heirat ein Privileg, das von der Obrigkeit gewährt wurde. Die Genehmigung galt an den Nachweis des Bürgerrechts (Städte), die Erlaubnis der Heimatgemeinde und an den Nachweis von regelmäßigen Einnahmen oder Vermögen sowie den Lebenswandel und Charakter. Kirchliche Vorschriften je nach Konfession waren ebenso gültig (vgl. MÖHLE 1999, 188). Viele "wilde Ehe" waren Zweitbeziehungen. Mitunter entstanden komplexe Familienstrukturen.
In Krisenzeiten kam als letzte Möglichkeit eine Auswanderung in Betracht. Aus heutiger Sicht spielten materialistische Überlegungen eine Rolle.
Hinweise bestätigen, dass die Partnerwahl ohne Druck von außen stattfand. Die Akteure lebten in einem Umfeld, in dem sich gewisse soziale Muster entwickelten. Pierre BOURDIEU (1993, 285) hat bäuerliche Heiratsstrategien in einem Kontext an die Wahrnehmung der Lebenserfahrung gesehen. Früheste Erziehung wird durch soziale Erfahrungen mit Wahrnehmung und Beurteilung verstärkt ("Vorlieben"), die auch für potentielle Partner gelten. Solche Wahrnehmungsmuster sind Ähnlichkeitswahlen, die auch heute unter anderen Bedingungen gelten (vgl. GESTRICH 2003, 503-504).
Das Heiratsalter hing von lokalen und regionalen Arbeitsmöglichkeiten und Einkommensverhältnissen ab. Auch bestimmten Qualifikationsschritte eine Heirat, man denke nur an Handwerker mit der Bedingung der Meisterprüfung für eine Betriebsführung. Altersungleiche Ehen ergaben sich aus der Verbindung zwischen Meisterwitwen und Gesellen (vgl. ROSENBAUM 1982, 151).
9.7 Verhältnis Ehepartner |  |
Das Verhältnis der Ehepartner wurde durch gemeinsame Arbeit und Verantwortung für den Betrieb geprägt. Feste Vorstellungen für die Arbeitsbereiche von Frauen und Männern regelten den Alltag. Es galt gesellschaftlich normiert, dass der Mann die Arbeiten außerhalb des Hauses, die Frau die Arbeiten im und um das Haus mit der Sorge um die Kinder zu leisten hatten.
Im kleinbäuerlichen Betrieb hatte die Frau am Feld mitzuarbeiten. Jedenfalls konnte man von einem Statusvorsprung des Mannes mit einer patriarchalischen Ordnung, auch in ökonomischer und öffentlicher Funktion, sprechen (vgl. ROSENBAUM 2014, 25-26). Im Handwerk überwachte die Zunft die Einhaltung der Arbeitsteilung. Mitunter waren die Ehebeziehungen konfliktreich, weil bei den beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen Rückzugsräume kaum vorhanden waren (vgl. ROSENBAUM 1982, 153-155). Dies betraf damit auch die ehelichen sexuellen Beziehungen, die wenig Intimität zuließen. ILIEN und JEGGLE (1978, 80) verweisen auf den Zusammenhang mit der Existenzsicherung (Härte der Arbeit, Hunger, mangelhafte Räumlichkeiten). Vor- und außereheliche Beziehungen bestanden heimlich und im Verborgenen und hatten den Makel der Sünde (vgl. ROSENBAUM 2014, 26).
In der Regel gab es mehr Schwangerschaften als überlebende Kinder (hohe Säuglings- und Kindersterblichkeit). Durch Fehl- und Totgeburten bzw. frühe Kindersterblichkeit - bedingt durch hygienische Verhältnisse, bestimmte Traditionen der Säuglingsernährung und Arbeitsbelastung der Mütter - kam es zu großen Altersabständen in der Geschwisterreihe.
Die Notwendigkeit einer Wiederverheiratung beim Tod eines Ehepartners führte zu Halb- und Stiefgeschwistern (vgl. ROSENBAUM 1982, 212-214; GESTRICH 2003, 567-569).
9.8 Stellung von Kindern |  |
Kinder standen wenig im Interesse und der Aufmerksamkeit der Erwachsenen. Entsprechend ihrem Alter wurden sie in den Alltag integriert. Mit zunehmendem Alter trat die Arbeit in den Vordergrund (Nachahmung - Rollenübernahme - Anerkennung). Bezugspersonen waren die Eltern, Großeltern und die Arbeitskräfte im Betrieb. Unter Umständen waren es auch Nachbarn.
Befehl und Gehorsam sowie körperliche Strafen waren selbstverständlich. Die Schule spielte kaum eine Rolle.
Mit der Schulpflicht kam es zur Übernahme der Arbeitspflicht. Die Jungen verließen bald das Elternhaus. Mädchen blieben allgemein länger - zur Hausarbeit - an das Haus gebunden.
9.9 Familienkonzepte des Bürgertums |  |
Mit der Trennung von Familie und Berufstätigkeit bzw. Familie und Erwerb entstanden neue Vorstellungen über Ehe und Familie (vgl. ROSENBAUM 1982, 251-253, 271-273).
Wesentliche Aspekte waren nunmehr
- mehr Zuneigung und Liebe und
- weniger sachliche Erwägungen
- als Ideal als Austausch von Gedanken und Gefühlen,
- eine veränderte Einstellung zu Kindern mit Zuneigung und einer Abgrenzung der Familie als Einheit nach außen,
- damit ein Entstehen von Privatsphäre.
9.10 Politische Elemente |  |
Im Folgenden geht es um politische Elemente der Gerechtigkeit und des Nachteilausgleichs, der Effizienz von Maßnahmen und der Nachhaltigkeit. Abschließend soll Familienpolitik im europäischen Kontext diskutiert werden.
9.10.1 Gerechtigkeitsregeln - Nachteilsausgleich |  |
Mit der Änderung der Familienverhältnisse nach dem Zweiten Weltkrieg kommt es zu einer Diskussion um die Stellung der Familie in einer demokratischen Gesellschaft.
Es geht grundsätzlich um die Stärkung der Familien, der Elternrechte, die Erziehung der nachwachsenden Generation, die innerfamiliären Beziehungen und aktuell um integrative Maßnahmen von zugezogener Familien. Es geht auch um einen Abbau der patriarchalen Stellung autoritärer Väter als Ursache autoritärer Charakterstrukturen (vgl. ADORNO/ FRENKEL - BRUNSWICK/ LEVINSON/ SANFORD 1950; HENTSCHKE 2001; BERTRAM - DEUFLHARD 2014, 327-328).
Es geht um den verfassungsgemäßen Schutz von Ehe und Familie.
Es geht um die Erziehung und Pflege der Kinder als Recht und Pflicht der Eltern.
Erziehungsberechtigung bedeutet nur dann einen Eingriff des Staates, wenn diese versagt oder Verwahrlosung droht.
Mütter haben den Anspruch auf Schutz und Fürsorge der Gemeinschaft.
Die Gesetzgebung verschafft unehelichen Kindern die gleichen Bedingungen für ihre Entwicklung und gesellschaftliche Stellung wie den ehelichen.
Der Staat wacht über die Wahrnehmung der Rechte und Pflichten und besitzt das Recht einzugreifen.
Unabhängig von der Lebensform gibt es die Fürsorge- und Erziehungspflicht der Eltern bzw. des/ der Erziehungsberechtigten.
Familienpolitik steht in enger Verbindung mit Sozial-, Frauen-, Bildung-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik.
Nicht nur die Regierung und das Parlament sind in der Pflicht, auch die Rechtsprechung und völkerrechtliche Grundrechte schützen die "Familie", d.h. das Familienleben, das Recht auf Gründung einer Familie, das Erziehungsrecht, das Umgangsrecht der Kinder mit den Eltern bzw. der Eltern mit den Kindern und der rechtliche und wirtschaftliche Schutz von Familien einschließlich des Anspruchs auf Mutterschafts- und Elternurlaub steht unter einem besonderen Schutz.
Dies zeigt sich etwa in der "Grundrechtscharta der EU 2010" in den Kapiteln 7,9,14,24 und 33.
Angesichts des umfassenden parlamentarischen und rechtlichen Rahmens versteht es sich von selbst, dass es ein eigenes Familienministerium gibt.
Familienpolitik, Sozialpolitik und Frauenpolitik ist hier gekennzeichnet durch Gerechtigkeitsregeln und einen Nachteilsausgleich.
In diesem Konzept spielt der Interessensausgleich der Eltern und Kinder eine wesentliche Rolle.
Damit ist die Gleichberechtigung der Ehepartner angesprochen (vgl. beispielhaft in der Erziehung und Arbeitswelt; siehe die IT -Autorenbeiträge http://www.netzwerkgegengewalt.org > Index: Erziehung, Vorberufliche Bildung in Österreich, Gender).
9.10.2 Familienpolitik im europäischen Kontext |  |
Die knappen Prinzipien einer nachhaltigen Familienpolitik zeigen an, dass Neudefinitionen bzw. neue Überlegungen notwendig werden.
Horizontale Gerechtigkeit sollte das klassische Modell eines sozialen Ausgleichs sicherstellen. Eltern sollen finanziell gegenüber Nicht -Eltern benachteiligt werden. Eine Gesellschaft kann erwarten, dass Mütter und Väter gleichberechtigt ihre Existenz sichern, sie kann aber auch erwarten, fass noch zusätzlich die Existenz des Kindes gesichert ist (vgl. das Leistungsprinzip und Sozialprinzip).
Gleichberechtigung von Frauen und Männern - kodifiziert in der Bundesverfassung und EU - Charta 2010 - ist nur dann realisierbar, wenn eine Familienpolitik sicherstellen kann, dass Fürsorge- und Erziehungsleistung für Kinder und den Lebensvorstellungen der Eltern mit ihrem Können und vermögen am Arbeitsmarkt in den einzelnen Altersphasen des Kindes eine Balance hergestellt wird. Diese "Work - Life - Balance" beinhaltet eine Sicherstellung von Kinderkrippen bis zu infrastrukturellen Angeboten für Kinder und Heranwachsende.
Nachhaltige Familienpolitik wäre in einem Irrtum zu glauben, dass ein solcher Ausbau ausreichend wäre, um die Entwicklung von Kindern und Heranwachsenden sicher zustellen. Ein solcher Prozess benötigt nicht nur institutionelle Orte und die Familie, vielmehr wird er auch positiv durch kommunale und soziale Einrichtungen und dem Elternhaus so gestaltet, dass zu Erziehende im unmittelbaren Nahbereich positive Erfahrungen sammeln können.
Gefordert ist eine konsequente Ablehnung von familialer Gewalt und damit einer Förderung familialer Erziehung und konsequenter Unterstützung familialer Bindung (vgl. SCHREIBER 2015, 162-171).
Gefordert sind Impulse bzw. Initiativen der Bildungs-, Gesundheits-, Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.
Für Randgruppen und Zuwanderer spezifische Angebote sind vermehrt einzufordern.
Fürsorge für andere kostet Zeit. Diskriminierungen ergeben sich, wenn man sich ausschließlich am Muster beruflicher Karrieren orientiert (vgl. die Bemühungen um eine vermehrte Bedeutung und Unterstützung von Freiwilligentätigkeiten/ "Ehrenamtlichkeit" und deren Notwendigkeit einer Koordination > DICHATSCHEK 2012/2013, 688-692).
Die größte Herausforderung von Familienpolitik für die Zukunft dürfte wohl bei der Fürsorge für Kinder und Ältere darin bestehen, die die Lebensverläufe und ihre Fürsorgeleistungen zu keinen Benachteiligungen kommen zu lassen. Erst bei einer vielgestaltigen Organisation der Lebensverläufe ist eine soziale Gerechtigkeit nach dem Verständnis von Nachhaltigkeit erreicht.
Für die Bildungseinrichtungen gelten in jedem Fall, dass Voraussetzungen und Standards, entsprechende Elemente, Methoden und Unterrichtsplanungen sowie Qualitäten einer Inklusion dringend einzufordern sind (vgl. REICH 2014). Damit ist auch der gesamtgesellschaftliche Rahmen abzustecken
9.10.3 Besonderheiten |  |
Eine europäische Besonderheit entstand in der Vielfalt der Ehe- und Familienmodelle.
Die Scheidungsraten stiegen, blieben aber unter der US -Rate und waren höher als in Asien (einschließlich der modernen Gesellschaften in Japan, Singapur, Korea und Honkong; vgl. KAELBLE 2007, 54).
Ebenso war bzw. blieb eine Besonderheit die Ein - Eltern - Familie (vgl. das Extrembeispiel Dänemark).
Außereheliche Geburten blieben in Europa niedriger als in den USA, höher aber als in Asien (vgl. COLEMAN 2002, 319-344).
Zusammenfassend kann man feststellen, dass es zwar unübersehbare Unterschiede und Verschiedenheiten in Europa gibt, daneben aber auch spürbare Annäherungen und bestimmte Eigenarten der europäischen Familie, die sie deutlich von außereuropäischen Familienkonzepten unterscheiden (vgl. KAELBLE 2007, 54).
Literaturhinweise |  |
Angeführt sind jene Titel, die für den Beitrag verwendet und/ oder direkt zitiert werden.
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Zum Autor |  |
APS - Lehrer/ Lehramt für Volks- und Hauptschule (D, GS, GW) sowie Polytechnischer Lehrgang (D, SWZ, Bk); zertifizierter Schüler- und Schulentwicklungsberater; Lehrbeauftragter am Pädagogischen Institut des Landes Tirol/ Berufsorientierung bzw. Mitglied der Lehramtsprüfungskommission für APS - Lehrer/ Landesschulrat für Tirol (1994 - 2003)
Lehrbeauftragter am Institut für Erziehungs- bzw. Bildungswissenschaft/ Universität Wien/ Aus- und Weiterbildung/ Vorberufliche Bildung (1990/ 1991- 2010/2011); Lehrbeauftragter am Sprachförderzentrum des Stadtschulrates Wien/Interkulturelle Kommunikation (2012); Lehrbeauftragter am Fachbereich für Geschichte/ Universität Salzburg/ Lehramt "Geschichte - Sozialkunde - Politische Bildung/ "Didaktik der Politischen Bildung" (2015/ 2016, 2017)
Mitglied der Bildungskommission der Evangelischen Kirche in Österreich A. und H.B. (2000 - 2011), stv. Leiter des Evangelischen Bildungswerks in Tirol (2004 - 2009, 2017 - 2019)
Kursleiter an den VHSn Zell/ See, Saalfelden und Stadt Salzburg - "Freude an Bildung" (2012-2019) und VHS Tirol "Der Wandel der Alpen" -
Politische Bildung (2025)
Absolvent des Instituts für Erziehungswissenschaft/ Universität Innsbruck/ Doktorat (1985), des 10. Universitätslehrganges Politische Bildung/ Universität Salzburg - Klagenfurt/ Master (2008), des 6. Universitätslehrganges Interkulturelle Kompetenz/ Universität Salzburg/ Diplom (2012) - des 6. Lehrganges Interkulturelles Konfliktmanagement/ Bundesministerium für Inneres - Österreichischer Integrationsfonds/ Zertifizierung (2010), der Weiterbildungsakademie Österreich/ Diplome (2010), des 1. Lehrganges Ökumene/ Kardinal König - Akademie Wien/ Zertifizierung (2006) - der Personalentwicklung für Mitarbeiter der Universitäten Wien/ Bildungsmanagement/ Zertifizierungen (2008 - 2010) und Salzburg/ 4. Lehrgang für Hochschuldidaktik/ Zertifizierung (2015/2016) - des Online - Kurses "Digitale Werkzeuge für Erwachsenenbildner_innen"/ TU Graz - CONEDU - Werde Digital.at - Bundesministerium für Bildung/ Zertifizierung (2017), des Fernstudiums Erwachsenenbildung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium - Comenius Institut Münster/ Zertifizierung (2018), des Fernstudiums Nachhaltige Entwicklung/ Evangelische Arbeitsstelle Fernstudium - Comenius Institut Münster/ Zertifizierung (2020)
Aufnahme in die Liste der Sachverständigen für den NQR/ Koordinierungsstelle für dem NQR, Wien (2016)
MAIL dichatschek (AT) kitz.net
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